Sonntag, 24. Februar 2013

So klingt das Wochenende: RACHEL YAMAGATA



Ein paar erklärende Worte vorab, denn wir haben einen neuen Gastautor hier. Emmi hat sich eine kleine Auszeit genommen. Es gibt Zeiten im Leben, da weckt Musik zu viele Emotionen. Da muss es einfach mal still sein im Kopf. Und damit unser Wochenende trotzdem nach etwas klingt, habe ich Karsten gefragt, ob er einspringen mag. Und er hat ja gesagt! Was mich stolz und glücklich macht, denn er ist der Mann, mit dem das alles begann. Es war mal unsere kleine, ganz private Tradition, dass er mir am Wochenende einen Song servierte und mir damit mein Wochenende versüßte. 


Liebe Kerstin, 

Es ist ganz leise hier. Dunkel. In der Küche klappert Geschirr.
Gleichmäßig. Auf dem Bildschirm
 vor mir bewegt sich ein kleines weißes Flugzeug über diversen Blautönen. Dunkelblau, marineblau, manchmal auch fast babyblau. Reiseflughöhe. Ein absurder Begriff. Einer der suggeriert, dass es die normalste Sache der Welt sei, die Nacht in 11.000 Kilometern Höhe mit ein paar Hundert Menschen zu verbringen. Nacht? Irgendwo ist es jetzt Nacht. Hier drinnen ist es nur dunkel. Und ganz leise. 


Ich bin unentspannt. Das war ich in den letzten Tagen oft. Geradeso den Flieger bekommen. Am Flughafen noch ein Meeting. Als sich die Tür hinter mir schließt, der Flugmodus ein- und die vielen Anrufer ausgeschaltet werden, erreicht mich wieder diese Angst. Wie oft hatte ich mir bereits geschworen, nie wieder ein Flugzeug zu betreten? Eine rhetorische Frage. Die Antwort hätte viele Nullen. 


Ich spüre meinen Puls im Hals, ich höre mein Herz schlagen, spüre diesen Schweiss. Ich atme schnell. Die Dame mit der tollen Uniform merkt das, sie lächelt und fasst mir, als ich mich hingesetzt habe, auf die Schulter. Ganz leise sagt sie mir etwas ins Ohr. Es soll beruhigen. Nutzt nichts. Sie lächelt trotzdem und nickt dabei leicht. Als wolle sie mir Kraft spenden. Du schaffst das! Ich glaube an Dich! 


Dann beginnen die Rituale. Ich arbeite die alle in der richtigen Reihenfolge ab. Es beginnt mit TAVOR und endet mit: Noise-cancelling headphones, iPhone an die Ladebuchse, Musik, Interpreten, Racheal Yamagata, "Elephants", Wiederholungsbutton an. Ja. Nur dieser eine Song. Immer und immer wieder. Die nächsten sechs Stunden lang. Oder sind es acht? Neun? Egal. Es ist dieser Song, der macht, dass mir nichts passiert. Ich werde irgendwann aufwachen, weil es wieder ganz schlimm wackelt, ich werde die Musik noch lauter stellen. Und er wird mich beschützen. So viele Jahre macht er das bereits. 


Außerhalb von Flugzeugen darf er so gut wie gar nicht laufen. Ich habe Angst, dass er seine Kraft verliert. Nur manchmal. Wenn alles ganz schlimm ist, läuft er zum Einschlafen. Und wirkt. So wie jetzt: Ich muss die Augen schließen, ich werde nicht aufstehen müssen, ich habe nichts getrunken, ich liege, TAVOR wirkt, das Piano auch. Und die Stimme. Ihre Stimme. Der Song ist der bewährte Schutzengel, Rettungsanker, Psychopharmaka - er ist alles. Ohne ihn wurden bereits Flüge verschoben und Flugzeuge wieder verlassen. Über ihn wurde noch nie gesprochen. Oder geschrieben. 


Wir sind gleich da. Ich bin wach, die Musik ist aus, die Dame mit der tollen Uniform blinzelt mir zu. Sie ist bestimmt stolz auf mich. So wie eine Mutter auf ihren Sohn, der gerade sein Schwimmabzeichen gemacht hat. Die ihn vorher fest umarmt hat und ihm, bevor er in das Chlorwasser sprang, ins Ohr flüsterte, dass sie ihm gerade diesen unsichtbaren Schwimmreifen umgehangen hat. Es könne ihm also gar nichts passieren. Er muss nur schwimmen. Er braucht keine Angst zu haben. Der unsichtbare Ring passt auf ihn auf. Mein Ring ist unsichtbar. Man kann ihn nur hören. Seit Jahren. Für Jahre. In 4 Tagen wird er mich wieder durch eine durchgeflogene Nacht bringen. Und er wird mich auch dieses Mal beschützen. Ganz bestimmt!

Liebe Grüße. Ich umarme dich. k.

RACHEL YAMAGATA, Elephants



Rachael Yamagata weiterhören? Nach dem unfassbar fantastischen Album "Elephants - Teeth sinking into heart" unbedingt das Album "Chesapeake" hören. Der erste Song dort: "Even If I Don´t". Wenn es morgens mit dem Aufstehen nicht klappt, macht dieser Song, dass sofort alles gut wird. Alles.

Lieber Karsten, 

weißt du, wie schön es ist, dich hier zu lesen? Hier, an meinem besonderen Ort.  Und in Emmis und meiner kleinen Musikkolumne, die es nicht geben würde, wenn es dich nicht geben würde. Denn du hast irgendwann begonnen damit, die Musik in mein Leben zu bringen. Das, was dein Leben ist, was so oft deine Worte ersetzt, wenn sich deine Lippen nicht bewegen wollen, mir zu schenken. Fast immer weißt du dann genau, welcher Song mir gefallen wird. Auch wenn für mich selbst kein Muster zu erkennen ist, in meinem Musikgeschmack. Du kennst mich so gut, über all die Jahre, dass sicher die Hälfte meines Ipods mit "deiner" Musik gefüllt ist.

Und schon immer liebte ich auch deine kleinen Geschichten zu den Songs. Ich war gespannt, wie es sein würde, wenn du sie hier erzählst. Und ich bin gerührt und beeindruckt, dass du uns so tief in deine Seele schauen lässt. Solche Blicke lässt du nicht allzu oft zu. Die meisten Menschen, die dir so täglich begegnen, die kennen nur den lustigen Karsten. Den, der immer in Eile ist. Der von Termin zu Termin hetzt, immer erfolgreich ist, selbstbewusst und auf den ersten Blick auch ein bisschen arrogant. 

Als wir uns vor 13 Jahren das erste Mal begegnet sind, hast du mir auch deine schwache Seite ganz kurz gezeigt. Und es ist genau dieser Zug an dir, der dich so liebenswert für mich macht. Ich mag dich dafür, dass du so bist wie du bist: so stark und so mutig und so aktiv und so lustig UND ganz ganz selten und nur gegenüber wenigen Menschen trotzdem schwach und beschützenswert. Dann wird mein Herz ganz weit und ich möchte dich fest in den Arm nehmen und für immer auf dich aufpassen. Wenn ich es nur könnte, würde ich jeden Kilometer, den du im Flieger verbringst, neben dir sitzen und deine Hand halten. Kann ich aber nicht. Und deshalb bin ich froh, dass es Rachel gibt und sie dich beschützt. 

Über diesen Song wurde noch nie geschrieben oder gesprochen? Danke, dass du es hier und heute tust. Mir hast du den Song, ohne die Geschichte dazu, vor ein paar Monaten schon geschenkt. Ich versuche mich zu erinnern, in welcher Situation das war. War es nicht in Bregenz in dieser speziellen Nacht? Ich hoffe, dass sie dich dort nicht beschützen musste, denn wenn ich an deiner Seite bin, dann ist das mein Job. ;-)

Ich schicke dir eine dicke Umarmung über den großen Teich und ganz viel Mutmach-Gedanken für den bevorstehenden Rückflug. Schön, dich in meinem Blog zu haben. Und noch schöner, dich in meinem Leben zu haben.

Liebe Grüße
Kerstin

PS: Ich brauche heute auch einen Beschützersong, weil ich mir Sorgen um jemanden mache, den ich nicht erreichen kann. Werde gleich Elephants auf Wiederholung setzen, Stöpsel in die Ohren und eine Runde laufen gehen. Ich hoffe, der Zauber wirkt auch bei mir.

2 Kommentare:

  1. jetzt fließen die tränen, die ich schon den ganzen tag zurückhalte.
    danke! emmi

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  2. Ich drück dich ganz fest, du Süße. Bestimmt hilft der Zauber auch in solchen Situationen. Bei mir jedenfalls war nach Elephants alles wieder gut.

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