Mittwoch, 15. Juni 2011

Sakura oder von der Vergänglichkeit einer Schlagzeile

"Japan strahlt rosarot und niemand wird sich dieses Jahr dafür interessieren". So oder so ähnlich lautete der Satz, den ich kurz nach dem Erdbeben in einer deutschen Zeitung las.


Ein Satz, der mich erschreckt hat. Weil er zeigt, wie schnell sich Prioritäten verschieben. Prioritäten einer Nation, vielleicht sogar Prioritäten der Menschheit. Erschreckt hat er mich aber auch, weil hier ein Journalist entweder sehr zynisch mit den Worten spielte oder so unsensibel war, dass er nicht bemerkte, was er dort schrieb.

Das einzige, was zu diesem Zeitpunkt in Japan noch rosarot war, waren die Kirschblüten. Sakura. Ein Wort, das schon nach ganz viel Glück und rosarot klingt. Die Blütezeit der Kirsche symbolisiert in Japan die verschiedenen Stufen des Lebens. Die Kirschblüte verkörpert das Aufblühen und die Schönheit des Daseins bis hin zur Vergänglichkeit und dem Tod. In Massen strömen die Japaner und zahlreiche Touristen in die Parks und Gärten, um Hanami, das Kirschblütenfest, zu feiern. In diesem Jahr war sicher niemandem nach Picknick und feiern zu Mute. Aus rosarot war über Nacht grau geworden. Das Symbol des Lebens war schon tot, als es noch in voller Blüte stand.



Vor ein paar Tagen las ich wieder über Japan in der Zeitung. Es war ein Dreizeiler. "Kernschmelze bestätigt. Jetzt ist es offiziell: Die Kernaufsichts-behörde bestätigt die Kernschmelze in den Reaktoren 1 bis 3 des japanischen AKW Fukushima." Ein Satz, der mich erschreckt. Die Prioritäten haben sich  verschoben. Zehn Tage stehen die Kirschbäume in voller Blüte, bevor sie zu Bodensatz werden, für den sich niemand mehr interessiert. Zehn Tage. Für eine gute Schlagzeile ist das offenbar eine halbe Ewigkeit.

1 Kommentar:

  1. Toller Artikel und sehr schöne Fotos dazu - rundet das ganze gut ab!

    In wenigen Worten viel gesagt - Du beherrschst die Kunst!

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